DER WOCHENMARKT UND DER WELTMARKT

Übersetzung: Paramaz Projekt

In einer Reportage hat Ufuk Uras1 seine Gedanken bezüglich der politischen Ökonomie folgendermaßen dargestellt:

„Der Markt der heutigen Welt ist ein globaler Markt. Es ist ja kein Wochenmarkt, so dass ich gemäß Misak-ı Milli2 sagen kann, wir schaffen jetzt diesen Markt ab. Aber was man machen kann ist, versuchen, die Menschen durch Sozialpolitik von globalen Märkten zu schützen“ (Zeitung Taraf, 08.12.2009)

Ufuk Uras würde heute vielleicht dieses Thema nicht genau so schildern. Aber ich denke, dass sich seine Gedanken nicht wesentlich geändert haben. Als Uras diese Aussage machte, wusste er vielleicht nicht, dass die in den USA ausgebrochene Wirtschafts- und Finanzkrise so lange andauern würde. Jedoch hat sich diese seit 10 Jahren andauernde Krise zu einer großen Stagnation umgewandelt und hat in ihrem Schoße große politische Krisen hervorgebracht. Aus diesem Grund denke ich, dass die marktfreundlichen linken Sichtweisen in seinen Äußerungen wiederfinden lassen und die Diskussion ihre Aktualität beibehalten hat.

Es gibt in der Geschichte keine andere Epoche, in dem der Zusammenbruch und Untergang des Kapitalismus, höchstpersönlich von den Kapitalist*innen selbst, dermaßen groß und lauthals angekündigt wurde. Dennoch ist es erstaunlich, dass die Vorstellung von einer Gesellschaft jenseits des Kapitalismus derart schwach und entfernt ist. Was hier die sozialistischen Vorstellungen beeinträchtigt, sind die noch unangetasteten Ketten aus der Zeit des Kalten Krieges. Die vorherrschende Meinung ist, dass ein „nachhaltiger“ Sozialismus nur möglich ist, wenn er durch die Marktbeziehungen vermittelt ist. Der Zusammenbruch der Sowjetunion wird mit der Aufhebung des Marktes in Zusammenhang gebracht. Der Zusammenbruch wird als Beweis dafür gesehen, dass eine funktionierende Wirtschaft nur mit der Existenz einer privaten und unternehmerischen Klasse möglich ist.

Außerdem werden Märkte besonders nach ihrer globalen Integration als unüberwindbar wahrgenommen. Diese Denkweisen haben die oben genannten gedanklichen Ketten, die die Vorstellung des Sozialismus in Ketten hält, gefestigt.

Die Große Stagnation stellt jedoch eine Periode sozialer Verwüstung dar. Sie hat zu einer theoretischen/konzeptuellen Umwälzung geführt und die objektive Grundlage dafür geschaffen, diese Ketten zu zersprengen. Unsere bescheidene Absicht ist es nicht, mit diesem Artikel Ufuk Uras als Person anzugreifen, sondern uns mit seinem Gedankengut auseinander zu setzen.

Was ist mit den Sozialdemokraten passiert?

Am Anfang des 20. Jahrhunderts war die Arbeiter*innenbewegung mit klaren Linien in zwei Lager geteilt: die Sozialdemokrat*innen und die Kommunist*innen. Die Sozialdemokraten wollten ihre Ziele mit Reformen und dem Parlamentarismus erreichen. Die Kommunisten hingegen wollten mit einer Revolution und den Volksräten (Sowjets) eine „sozialistische Gesellschaft“ anstreben. Ihr politischer Anspruch war der Sozialismus. Die sozialdemokratischen Führer wie Kautsky, Hilferding und Adler haben die Sowjetunion aus verschiedenen gründen kritisiert und auch wenn es nur im Schein war, ebenfalls den Sozialismus angestrebt. Die Sozialdemokrat*innen wie zum Beispiel Hilferding haben behauptet, dass man den Sozialismus durch die Zentralisierung/Nationalisierung der sechs größten Banken des Landes, die die Wirtschaft unter ihrer Kontrolle hatten, seitens seiner sozialdemokratischen Regierung aufbauen konnte.

Die Bolschewiki und Kommunisten haben in 16 Ländern die Revolutionen ausgeführt, in einem drittel der Welt einen Block des Sozialismus errichtet und versucht den Sozialismus aufzubauen. Sie haben den Unterdrückten und ausgebeuteten Menschen die Erfahrungen einer 80 jährigen UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) hinterlassen. Letztendlich haben sie am Ende des Jahrhunderts verloren. Über ihr Scheitern wurde viel berichtet und unzählige Bücher geschrieben.

Und die Sozialdemokraten? Was ist mit ihnen passiert? Haben sie es geschafft auf dem parlamentarischen Wege den Kapitalismus mir Reformen von innen heraus zu verändern? Haben sie in irgendeinem Land den Sozialismus errichtet? Nein. Die Sozialdemokraten haben es nicht geschafft mit den Mitteln des Kapitalismus den Kapitalismus zu verändern. Im Gegenteil, der Kapitalismus hat sie verändert. Sie unterscheiden sich nicht mehr von den bürgerlichen Parteien. Sie haben ihre Programme dem Kapitalismus angepasst. Sie haben sich in der Phase der imperialistischen Globalisierung die neoliberalen Programme angeeignet und somit die Unterstützung der armen Massen verloren. Und in der Phase der großen Stagnation (2007-2017) waren sie die Hauptverantwortlichen dafür, dass die finanziell schwachen Menschen zu den neo-faschistischen Parteien gewechselt sind.

Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhundert vertreten die besiegten Sozialdemokraten mehr oder weniger die Position von Ufuk Uras: den Anspruch Sozialismus aufgeben und gegenüber der globalen Macht des kapitalistischen Weltmarkts aus einer defensiven Haltung heraus die sozialen Rechte verteidigen. Das bedeutet die totale Kapitulation gegenüber dem Kapitalismus, und eine alternative Gesellschaftsform kann nicht einmal entworfen werden. Sogar in einer Zeit, in der der Kapitalismus seit 2007/2008 die größte Krise seiner Existenz erlebt.

Die imperialistischen Phase der Globalisierung entwickelt sich auf einem vereinigten Weltmarkt und expandiert. Können die sozialen Rechte verteidigt werden, wenn die Hegemonie dieser Weltwirtschaft akzeptiert wird? Ist es nicht die „Hegemonie globaler Märkte“, der sogar in den entwickelten kapitalistischen Ländern die Fabriken in andere Standorte verlegt, für eine chronische Massenarbeitslosigkeit verantwortlich ist und mit prekären Arbeitsbedingungen schrittweise die sozialen Rechte abschafft? Wenn die Existenz und Hegemonie einer vereinigten Weltwirtschaft auf die Unmöglichkeit des Sozialismus hinweist, dann müsste es nicht gleichermaßen die Unmöglichkeit der Verteidigung sozialer Rechte hinweisen?

Die Praxis des sozialen Staates wurde, entgegen des Prinzip des maximalen Profits des monopolitischen Kapitalismus, nach 1945 im West-Europa und in den USA angewendet. Haben sie das nicht praktiziert, um die wachsende sozialistische Welle aufzuhalten? Waren die sozialen Rechte in den kapitalistischen Ländern nicht die direkten Folgen des Kampfes der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern und die indirekten Folgen der Volksrevolutionen und sozialistischen Revolutionen der Arbeiterklasse in den UdSSR, China, Mitteleuropa und Kuba?

Der Wochenmarkt kann nicht abgeschafft werden

Der Wochenmarkt ist ein Markt für die kleine Warenproduktion. Der Weltmarkt hingegen ist der Markt für die großmonopolistische Industrieproduktion. Die Länder, mit einem verbreitet und stark ausgeprägt „Wochenmarkt“ sind Länder, in dem die Kleinwarenproduktion verbreitet und ausgeprägt ist. Die Länder, in den im 20. Jahrhundert die Erfahrungen des sozialistischen Aufbaus gemacht wurden -außer Tschechoslowakei und die DDR- waren Länder, in denen die Landwirtschaft, der Anteil der Bauern an der Bevölkerung und die Kleinwarenproduktion verbreitet und ausgeprägt war. Vor allem waren die UdSSR und China die größten Länder der Kleinwarenproduktion.

Der Sozialismus bedeutet die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Somit wird nicht mehr für den privaten Profit produziert, sondern mit dem Ziel der Befriedigung sozialer Bedürfnisse. Die Großindustrie, Banken und kapitalistische Agrarwirtschaft können mit einem Gesetz vergesellschaftet werden. Aber die Kleinhändler und Kleinbauern sind einerseits Werktätige und andererseits Besitzer von Produktionsmitteln. Aus diesem Grund können die Kleinunternehmen nicht vergesellschaftet werden. Man kann sie nicht zwingen. Die Umwandlung der Kleinwarenproduktion zur gesellschaftlichen Großproduktion kann mittels Kooperatisierung und Überzeugung geschehen.

Nach der Oktoberrevolution 1917 waren etwa 80% der Bevölkerung in Russland Bauern. In China war der Anteil der Bauen im 1949 viel größer. Die Erfahrungen der chinesischen und russischen Revolution sind Erfahrungen der Industrialisierung auf der einen Seite und der Bildung von kollektiven und kommunalen Landwirtschaft auf der anderen Seite.

Alle, die diese Erfahrungen untersucht haben, können verstehen, dass in der sozialistischen Aufbauphase der „Wochenmarkt“ nicht abgeschafft werden kann. Man kann ihn nur in einer langen Phase umgestallten. Es ist die kapitalistische Produktionsweise, die die Kleinwarenproduktion massenhaft in den Ruin treibt, den Kleinbauern ihr Land entnimmt und sie in die Städte zwingt. Dieser Enteignunsprozess hat in den letzten 20 Jahren weltweit 1 Milliarde Proletarier produziert.

Die Kleinwarenproduktion ist in einem sozialistischem Regime eine Quelle, die jeden Tag und Stunde für Stunde den Kapitalismus neu und massenhaft erschafft. Man kann sagen, dass diese Tatsache die Kommunistische Partei in der Sowjetunion am meisten gefordert hat. Auf der anderen Seite ist die kleine Agrarwirtschaft aufgrund ihrer Eigenschaft als Privateigentum nicht planbar. Aus diesem Grund konnte bis 1929 die Produktion in der Landwirtschaft nicht geplant werden und hat die geplante Entwicklung der Industrie gehemmt. Somit haben die reichen Bauern (Kulaks) aus Profitgründen das Getreide nicht verkauft, sondern gestockt. Die Kleinbauern haben dem Folge geleistet und die Arbeiter in den Städten mussten große Hungersnöte leiden. Nur die Bildung der kollektiven Bauernhöfe (Kolchos) ab 1929-1933 konnte die Versorgungsprobleme der Großstädte lösen. Somit wurde die Landwirtschaft gewissermaßen planbar. Das hat die Entwicklung der industriellen Planwirtschaft begünstigt. Die Kolchos waren jedoch nur der erste Schritt zur gesellschaftlichen Veränderung der Kleinwarenproduktion.

In den Anfängen des 20. Jahrhunderts haben die reformistischen Sozialdemokraten wie Kautsky, Plehanov, Hilferding usw… Lenin und die Sowjetunion dafür kritisiert, dass sie in einem Land der Kleinbauern versucht haben die sozialistische Revolution durchzuführen. Heute hingegen behauptet Ufuk Uras, dass die Kleinwarenproduktion an Bedeutung verloren hat und somit der sozialistische Aufbau nicht funktionieren kann!

In den Anfängen des 20. Jahrhunderts machten die Klassen der Kleinproduzenten und Kleinbauern sogar in den entwickelten kapitalistischen Ländern (außer in England) etwa 30-45% der Bevölkerung aus. In den Anfängen des 21. Jahrhunderts hingegen hat die Kleinwarenproduktion zufolge kapitalistischer Entwicklung nicht nur in den entwickelten kapitalistischen Ländern, sondern auch in den weniger entwickelten kapitalistischen Ländern wie die Türkei an Bedeutung verloren. Die Vergesellschaftung der Produktion und die robotisierte industrielle Produktion hat die Kleinwarenproduktion ersetzt. Somit wurde der Sozialismus objektiv möglicher. Die Arbeiterklasse machte in den Anfängen des 20. Jahrhunderts nur in einigen Ländern einen Großteil der Bevölkerung aus. Nach dieser Entwicklung macht die Arbeiterklasse heute in weiten Regionen der Welt die Bevölkerung aus. Das ist die soziale Folge von der Entwicklung der Produktionsmitteln. Dabei wurden nicht nur die Kleinwarenproduzenten proletarisiert, sondern auch die Selbstständigen.

Die Erfahrungen des Sozialismus des 20. Jahrhunderts zeigen uns, dass die Revolutionen in den Ländern durchgeführt wurden, in den der „Wochenmarkt“ zum großen Teil vorherrschte. Somit musste die sozialistische Aufbauphase einer Phase der Modernisierung entsprechen. Diese Notwendigkeit hat die Weiterentwicklung der Produktionsweise in den Hintergrund gedrängt, und die Entwicklung der Produktivkräfte, Industrialisierung und Elektrifizierung in den Fokus gerückt. Die UdSSR hat in der Zeit von Lenin und Stalin nahezu in kürzester Zeit eine Epoche durchgemacht und von einem unentwickelten kapitalistischen Bauernland zu einem sozialistischem Industrieland weiterentwickelt. Jedoch hat der sozialistische Aufbau in der UdSSR das Entwicklungsniveau nicht erreicht, in dem marktwirtschaftliche Kategorien wie Geld, Preis, Profit, Lohn, usw. abgeschafft werden. In der Zeit von Khrushchev bis Brezhnev wurden die Maßnahmen zur Entwicklung der marktwirtschaftlichen Kategorien eingeleitet. Es wurde sogar versucht eine sozialistische Wirtschaft mit marktwirtschaftlichen Kategorien zu führen. Das hat dazu geführt, dass die sowjetische Wirtschaft sich selber zu widersprechen begann. Mit Gorbatschow wurde eine politische Phase in der UdSSR eingeleitet, der die kapitalistischen Beziehungen den Weg frei gemacht hat und somit auch der Weg für den Zusammenbruch. Die Kolchos, die eins für die Kollektivierung der Kleinwarenproduktion entwickelt wurden, wirkten in der Zeit von Khruschchev bis Gorbatschow als die treibende gesellschaftliche Kraft hinter der Stärkung und Weiterentwicklung marktwirtschaftlicher Kategorien.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die UdSSR nicht zusammengefallen ist, weil sie die Marktwirtschaft aufzuheben versucht hat, sondern weil, sie es aus Mangel an Produktivkräften nicht geschafft hat, die marktwirtschaftlichen Elemente aufzuheben. Anders ausgedrückt war es die sozialistische Marktwirtschaft, die 1991 zusammenbrach!

In der Volksrepublik China, im Gegenteil zu der UdSSR, wurde die kapitalistische Produktionsweise zu keinem Zeitpunkt abgeschafft, sondern in Rahmenbedingung des Staatskapitalismus nur eingegrenzt. In der Zeit von Mao wurden Dorfkommunen und sozialistischen Staatsbetriebe gegründet. In der Zeit von Deng Ziao-Ping hingegen wurde der eine Politik verfolgt, die den Handlungsraum der kapitalistischen Produktion erweitert hat. Die kapitalistische Produktion hat seinen Wirkungsraum Schritt für Schritt erweitert und letztendlich über die gesamte Wirtschaft geherrscht. Mit dem Eintritt in die Welthandelsorganisation (WHO) hat sich China mit der kapitalistischen Welt vereinigt. Auch bei diesem Beispiel ist zu sehen, dass die „sozialistische Marktwirtschaft“ zum Kapitalismus führte.

Der grundsätzliche krisenhafte Charakter des Kapitalismus

Die vereinigte Weltwirtschaft bedeutet, dass es heute für den Kapitalismus kein „Ausland“ mehr gibt. Es gibt keine bäuerlichen Nationen oder einen sozialistischen Block wie in den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Alle Länder sind kapitalistisch. Man kann auch sagen, dass das Kapital seine Hegemonie auf der ganzen Welt hergestellt hat.

Jedoch bedeutet das nicht, dass dieser Zustand den krisenhaften Charakter des Kapitalismus mildert. Im Gegenteil: „die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst” (Marx, Das Kapital, Bd. III). Der Kapitalismus erschafft die Bedingungen seines Untergangs selbst und lässt seinen krisenhaften Charakter in seiner objektiven Funktionsweise in Erscheinung treten. Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass die Krisen des Kapitalismus aufgrund des Druck nicht-kapitalistischer Verhältnisse entstehen. In dem Maße wie die nicht-kapitalistischen Verhältnisse absorbiert werden, in dem Maße werden die kapitalistischen Krisen größer und zerstörerischer. Anders gesagt stellen nicht-kapitalistische Verhältnisse gewisse Reserven dar, in die der Kapitalismus seine Krisen exportiert und abwälzt.

Heute gibt es keinen sozialistischen Block, der den Kapitalismus geographisch einengt oder die Imperialisten politisch unter Druck setzt. Es gibt auch keine bäuerlichen Länder, auf die die Krisen des Kapitals abgewälzt werden können. Dagegen hält die Finanz- und Wirtschaftskrise oder mit richtigen Worten ausgedrückt, die Überproduktionskrise des Kapitals, die 2007-2008 ausgebrochen ist noch an. Es erstreckt sich mittlerweile über einen Zeitraum von 10 Jahren und die große Phase der Stagnation bestimmt die Weltwirtschaft. Es sieht so aus, als hätte die Phase des Aufschwungs der Konjunktur ausgesetzt. Diese langanhaltende Krise ist mit der großen Krise von 1929-1933 vergleichbar und belegt alle aussagen im letzten Abschnitt.

Die auf das Kapital beruhende Produktionsweise macht eine ontologische Krise durch. Dies drückt sich folgendermaßen ausDie Ressourcen der Menschheit häufen sich massenhaft in unproduktive Bereiche wie in die Börsen- und Bauspekulationen an; Die Industrieproduktion bringt keine hohen Profite mehr ein und verlangsamt die kapitalistische Produktion; die breiten Teile der Weltbevölkerung werden der chronischen Massenarbeitslosigkeit überlassen und der Untergang des Planeten ist so nah wie noch nie zuvor. Es ist offensichtlich zu sehen, dass die Menschheit keine andere Wahl hat, als sich zwischen einem Rückkehr zur Barberei und dem Sozialismus zu entscheiden.

Bereits im ersten drittel des 21. Jahrhunderts ist die Marktwirtschaft zunehmend in Frage zu stellen, weil einerseits die Entwicklung der Produktivkräfte (Robotisierung, künstliche Intelligenz und Internet) eine auf den Profit beruhende Produktionsweise unmöglich macht und andererseits die kapitalistischen Produktionsverhältnisse (massenhafte flucht des Kapitals in unproduktive Bereiche, in diesem Zusammenhang: die Bildung von Finanzblasen und Ausbruch der Krisen, Verurteilung großer Menschenmassen zu Arbeitslosigkeit und Hunger) mit dieser Entwicklung nicht mehr übereinstimmt.

Eine kapitalistische Gesellschaft basiert auf marktwirtschaftliche Beziehungen. Die Grundlage dieser sozialen Formation ist, dass die Menschen alles was sie zum Leben brauchen auf dem Markt kaufen müssen. Dafür müssen sie aber zuerst auf dem marktwirtschaftlichem Wege das Geld als Einkommen verdienen. Die chronische Massenarbeitslosigkeit und die Tatsache, dass Menschen aufgrund der langen Arbeitslosigkeit die Arbeitssuche aufgeben, zeigen, dass die Hypothese der Marktwirtschaft nicht funktioniert und sich aufhebt.

In einer Gesellschaft, in der die Arbeiter ihrer fundamentalen Lebensgrundlage, der Lohnarbeit, nicht nachgehen können oder die Arbeit, der sie nachgehen ihre menschlichen Grundbedürfnisse nicht decken kann und sie sich auf diesem Wege verschulden müssen, um ihre Bedürfnisse zu decken, ist die Kritik an der Funktionsweise der Marktwirtschaft unvermeidlich. Die unsichtbare Hand des Marktes wird als jene der oberen 1% der Bevölkerung enttarnt. Und die 99% hingegen sind dazu verdammt in immer schlechter werdenden sozialen Bedingungen ihr Leben weiterzuführen.

Die erste Folge dieser Entwicklung ist der Untergang der Marktfundamentalisten der 90er Jahre. Es wird zwangsläufig, dass ein Teil der Steuereinnahmen durch die öffentliche Hand zu Gunsten der Unterdrückten und sozial ausgegrenzten Teilen der Bevölkerung ausgegeben werden. Dennoch wird diese erste politische Folge die Frage nicht beantworten können, warum die Menschen dazu gezwungen werden, ihre Bedürfnisse mit Geld decken zu müssen. Das aktuelle Niveau der Produktivkräfte stellt die Überwindung der Vermittlung durch den Markt und die gesellschaftliche Planung der Produktion und Verteilung in den Vordergrund.

Es ist unzeitgemäß und Blödsinn heute der Marktwirtschaft einen Lob auszusprechen. Während die armen Massen versuchen sich und ihr Schicksal von den unterdrückenden Beziehungen des Marktes und den erdrückenden Händen der Wirtschaft zu befreien, ist die Aufgabe der sozialistischen Linken die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Planwirtschaft in den Fokus der Diskussionen zu rücken. Nur so kann der Unmut und die Unmündigkeit der Menschen, die der „unsichtbaren“ Hand der Märkte überlassen sind und von dieser gnadenlos ausgebeutet werden, sich wieder zu einer Klassenbewegung entwickeln. Andernfalls würde man diese Massen den Demagogen wie Trump und Le Pen überlassen. Das ist die soziale Realität, die hinter den politischen Erfolgen von Bernie Sander in den USA und Jeremy Corbyn in England steckt.

1 Ökonom, Schriftsteller, eine Zeit lang Generalsekretär der Partei Freiheit und Solidarität (ÖDP). Er trennte sich von der Partei und wurde unabhängiger Abgeordneter, Er beteiligte sich an den Gründungsarbeiten der Grünen Linkspartei.

2 Ein Nationalpakt zur politischen Unabhängigkeit der heutigen Türkei im Osmanischen Reich